Lauritz Müller: »renaturierte spielbretter / die natur im verdacht« (auszug)

Lauritz Müller eröffnet den inoffiziellen Lyrik-Block des Sonntags, drei Lyriker*innen wurden hierfür hintereinander ausgelost.

Das Langgedicht renaturierte spielbretter präsentiert sich in der Anthologie als Abfolge erratischer Blöcke. Der erzwungene Blocksatz verleiht den einzelnen Teilen schon auf den ersten Blick eine Schwere und Sperrigkeit, die das Gedicht inhaltlich ebenso auszeichnet. Und das im besten Sinne.

#2

dann hoben wir löcher aus zur abendstunde mit
schweren atemzügen, spatenstichen: zwei finger
längen im atlas, wanderungen als trittbrettfahrer
unter laminierten tieren. andere wiederum
hatten eine fangschaltung für zugvögel aus pappe
eingerichtet. zählbare distanzen zwischen zwei
umwölkten hängen gaben zuversicht zur nacht.
oben schlugen die gipfel eine volte, wolken
formationen schwärmten aus, spannten eine riesige
leinwand auf, wir bewegten uns als figuren eines
schattenspiels darauf zu. mutproben. am morgen
gaben sich alle gefällig, knickten in die ähren
eselsohren dass man die stelle wiederfände.

Das Gedicht vollzieht eine Bewegung und beschreibt den Zug einer Gruppe durch eine Stadt, eine urbanen Landschaft vielmehr, die immer wieder zwischen Natur und Technik changiert. Wie bei Gedicht #6 (der im Vers fett gedruckte Titel lautet „Vexierspiel“) wechseln beide Seiten immer wieder hin und her und durchdringen sich gegenseitig. Origami-Vögel säumen Flussläufe, Parkhaus-Auffahrten werden zu Hängen und Falten werden am Morgen nach durchzechter Nacht „ausgebakt“. Wie der Kippstuhl am Anfang verweist auch der Verzicht auf Trennstriche sowie die sparsame, eher rhythmische Interpunktion auf das Prinzip des Wechselspiels. Immer wieder kippt eine Zeile am Ende unverhofft in eine gänzlich andere Bedeutung, wenn sich ein Wort, das zunächst für sich zu stehen schien, mit dem Anfang der nächsten Zeile als erste Hälfte eines Kompositums erweist.

Das Gedicht vollzieht dabei noch eine zweite Bewegung, ein Heimkehren ex negativo. Es ist gleichermaßen ein Erinnern, eine Reise in die Vergangenheit des lyrischen Ichs. Nostalgie ist dieser Bewegung jedoch fremd, es ist keine verklärte Wärme in den Strophen, sondern vielmehr die Verarbeitung, Aufarbeitung von vielleicht weit Zurückliegendem. Dies unterstreicht der distanzierte, pointierte Vortrag, der die Kippstellen der Zeilen aufzunehmen versucht. Hin und wieder driftet der Vortrag ein wenig zu sehr in ein Stakkato kurzer Teilsätze, das es schwer macht, zu folgen. Dies gilt vor allem für das zweite Gedicht, die natur im verdacht, bzw. den vorgetragenen Auszug daraus. Zu kurz wirkt dieser auch gewählt, zu unproportional im Gegensatz zum vorherigen Langgedicht, um noch eigene Akzente zu setzen. Das ähnliche Thema macht dies nicht besser.

Am Ende bleibt aber ein überaus guter Eindruck, weitgehend unprätentiöse Gedichte in passender Form, in Schrift wie Vortrag.

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